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Urteile

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Ein Risikogebiet, eine Corona-Taskforce und eine Arbeitgeberin, die über das Ziel hinausschoss?

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.08.2022 – 5 AZR 154/22

Die Arbeitgeberin hätte ihre Mitarbeiter*innen zu „Urlaub“ in Form von bezahlter Freistellung einladen können, um eine Ausbreitung des Corona-Virus in ihrem Betrieb zu verhindern.

Zu diesem Schluss gelangt das Bundesarbeitsgericht in einem Fall, in dem die Arbeitgeberin sich weigerte, Arbeitnehmer*innen, die aus einem Risikogebiet einreisten, für 14 Tage zu beschäftigen.

Der Fall

Die Muttergesellschaft der Beklagten hatte eine Corona-Taskforce ins Leben gerufen, welche in Bezug auf Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes ein Hygienekonzept ausarbeitete, das in allen Unternehmen umgesetzt wurde. Über das Ergebnis wurden die Mitarbeiter*innen der Beklagten, so auch der Kläger, im Juni 2020 schriftlich unterrichtet. Insbesondere wurden die Mitarbeiter*innen darauf hingewiesen, dass sie sich im Falle einer Rückkehr aus einem Risikogebiet in eine 14-tägige Quarantäne begeben müssten und für diese Dauer ihre Lohnansprüche verlieren:

Zwingende 14-tägige Quarantäne nach Rückkehr aus dem Risikogebiet

(...)

Was bedeutet das für Sie und Ihre Arbeit?

Sie verlieren für die Zeit einer erforderlichen Quarantäne, wie auch einer tatsächlichen COVID-19 Erkrankung Ihre Lohnfortzahlungsansprüche.“

Das Corona-Konzept sah nämlich vor, dass die Beklagte die vom RKI vorgesehene Möglichkeit für Reiserückkehrer, sich mittels eines PCR-Tests „freizusetzen“, nicht anerkennt:

„Eine einmalige PCR-Testung im Rahmen der Rückkehr aus einem Risikogebiet wird seitens (...) nicht anerkannt.“

Der Kläger reiste wegen des Todes seines Bruders dennoch für den Zeitraum 11.08.2020 bis 14.08.2020 in die Türkei, damals ein Risikogebiet.

Sowohl vor der Ausreise aus der Türkei als auch bei der Einreise in Deutschland am darauffolgenden Tag absolvierte der Kläger einen PCR-Test, der jeweils negativ ausfiel. Darüber hinaus erhielt der Kläger einen Tag später ein ärztliches Attest, welches ihm bescheinigte, dass er symptomfrei sei. Auf seine Nachfrage bestätigte ihm das zuständige Gesundheitsamt des Weiteren, dass die behördliche Quarantäne-Pflicht nicht gelte, wenn er einen negativen Corona-Test (ärztliches Attest nebst Laborbefund) verweisen könne, der nicht älter als 48 Stunden ist.

Als der Kläger daraufhin am 17.08.2020 seine Arbeit wiederaufnehmen wollte, wies die Beklagte ihn am Werkstor ab.

Zur Begründung führte sie aus, dass sich der Kläger innerhalb der möglichen Infektionszeit von 14 Tagen absondern müsse und dem negativen Testergebnis nach Informationen des Robert-Koch-Instituts nicht getraut werden dürfe. Die Beklagte beschäftigte den Kläger erst ab dem 29.08.2020 wieder, zog dem Kläger für die „Fehlzeiten“ 10 Urlaubstage ab und kürzte zusätzlich seinen Loh um rund € 1.500,00.

Das Arbeitsgericht Berlin hatte der Zahlungsklage des Klägers stattgegeben und zudem festgestellt, dass dem Kläger die 10 Urlaubstage zu Unrecht abgezogen worden waren. Auch vor dem Landesarbeitsgericht unterlag die Beklagte, die Berufung eingelegt hatte. Und wie bewertete das Bundesarbeitsgericht den Fall?

Das Urteil

Auch das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger recht. Die Beklagte müsse dem Kläger den sogenannten „Annahmeverzugslohn“ zahlen.

Das Bundesarbeitsgericht stellte zunächst fest, dass der Kläger, der sowohl ein aktuelles Testzertifikat über ein ärztliches Zeugnis als auch einen Laborbefund vorgelegen konnte, die ein negatives Testergebnis (PCR-Test) ausgewiesen haben, weder aufgrund gesetzlicher noch verordnungsrechtlicher Vorgaben verpflichtet gewesen war, sich in Quarantäne zu begeben.

Sodann legte das Bundesarbeitsgericht dar, das auch das von der Beklagten ausgesprochene (vorübergehende) Betretungsverbot – obgleich aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht vertretbar – nicht geeignet gewesen sei, den Lohnanspruch des Klägers entfallen zu lassen:

„Die Beklagte hat (...) selbst die Ursache dafür gesetzt, dass der Kläger nicht an seinen Arbeitsplatz gelangen konnte, ohne das Hausrecht zu verletzen. Das Leistungshindernis hat damit seine Ursache in der von ihr geregelten Arbeitsorganisation. Auch wenn die Beklagte vertretbare arbeitsschutzrechtliche Gründe für das Betretungsverbot angeführt hat, schließt das die Verpflichtung zur Vergütungsfortzahlung nicht aus, denn [es] ist grundsätzlich unerheblich, aus welchem Grund dies geschieht und ob der Arbeitgeber dies verschuldet hat.“

Hinweise für die Praxis

Das Bundesarbeitsgericht verglich das Betretungsverbot in dem vorliegenden Fall richtigerweise mit einer Freistellung nach Ausspruch einer Kündigung. Lehnt der Arbeitgebende nämlich die Arbeitsleistung des/der betreffenden Arbeitnehmer*in ab, obwohl ihm/ihr die Beschäftigung zumutbar gewesen wäre, bleiben die Lohnansprüche bestehen.

Wir raten Arbeitgebenden daher, die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeiter*innen nur aufgrund einer konkreten Einzelfallbeurteilung abzulehnen. Generelle und von den konkreten Gegebenheiten vor Ort unabhängige Entscheidung – auch wenn sie auf einem Hygienekonzept beruhen – sind ungeeignet und können erhebliche finanzielle Risiken beinhalten.

Und um auf die Besonderheiten rund um Corona zurückzukommen:

Wann dürfen Arbeitnehmende ihre Leistung verweigern, ohne ihren Lohnanspruch zu verlieren? Was passiert mit dem Lohnanspruch, wenn sich die Arbeitnehmenden im Urlaub infizieren oder aufgrund von Reisebeschränkungen im Urlaub festsitzen? In unserem "Ratgeber Arbeitsrecht" beantworten wir in einem Spezial-Beitrag diese und noch weitere Fragen.

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