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ArbG Mainz, Urt. v. 14.08.2024 – 4 Ca 1424/22
Das Arbeitsgericht Mainz hat entschieden, dass eine Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin, die zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs von ihrer Schwangerschaft nichts wusste, unwirksam ist. Dies folgt aus einer unionsrechtskonformen Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) unter Berücksichtigung der Mutterschutzrichtlinie der EU und der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Die Klägerin war als Pflegehelferin bei der Beklagten tätig. Der befristete Arbeitsvertrag lief bis zum 31.07.2023. Bereits am 06.10.2022 sprach die Beklagte innerhalb der Probezeit eine fristgerechte Kündigung aus. Am 10.11.2022, etwa einen Monat nach Zugang der Kündigung, teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger gewesen sei, dies jedoch erst am 09.11.2022 durch ärztliche Untersuchung erfahren habe.
Am 13.12.2022 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und machte geltend, dass die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) unwirksam sei. Das Gesetz schützt Schwangere vor Kündigungen, die ohne vorherige behördliche Zustimmung ausgesprochen werden. Die Klägerin hatte allerdings die Drei-Wochen-Frist zur Klageerhebung gemäß § 4 KSchG versäumt und auch keinen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG gestellt.
Das Gericht rief den EuGH zur Klärung der Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit der Mutterschutzrichtlinie (92/85/EWG) an. Der EuGH entschied, dass Verfahrensvorgaben wie die Klagefristen oder zusätzliche Anträge auf nachträgliche Klagezulassung den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nicht unverhältnismäßig erschweren dürfen.
Das Arbeitsgericht Mainz entschied zugunsten der Klägerin und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet wurde, sondern aufgrund der Befristung am 31.07.2023 endete.
1. Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 17 MuSchG
Die Klägerin genoss aufgrund ihrer Schwangerschaft besonderen Kündigungsschutz. Gemäß § 17 MuSchG ist die Kündigung nur mit vorheriger Zustimmung der zuständigen Behörde zulässig. Diese lag unstreitig nicht vor.
2. Europarechtskonforme Auslegung von § 4 KSchG
Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) führte das Versäumen der Drei-Wochen-Frist zur Klageerhebung grundsätzlich dazu, dass die Kündigung gemäß § 7 KSchG als wirksam gilt. Dies gelte auch, wenn der Arbeitgeber erst nach Zugang der Kündigung von der Schwangerschaft erfährt.
Das Gericht folgte jedoch der EuGH-Entscheidung, die einen Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz sah, wenn die Einhaltung strenger Fristen die Rechtsdurchsetzung für Schwangere unverhältnismäßig erschwert.
Es sei unionsrechtskonform, § 4 Satz 4 KSchG in seiner wörtlichen Bedeutung anzuwenden und der Klägerin zuzugestehen, dass die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage erst zu laufen beginnt, nachdem die Behörde der Kündigung zugestimmt hat. Die Behörde hat aber nicht der Kündigung zugestimmt, weil sie nie gefragt wurde (sie musst auch nicht vom AG gefragt werden, weil der AG nichts von der Schwangerschaft vor Ausspruch der Kündigung wusste).
Und da keine Entscheidung der Behörde vorlag, führt das dazu, dass die Frist zur Klageerhebung NIE zu laufen beginnt.
3. Kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers
Da die Klägerin die Schwangerschaft nachträglich und zeitnah nach deren Feststellung mitteilte, hätte die Beklagte erkennen müssen, dass die Kündigung unwirksam war. Ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten an der schnellen Klärung der Wirksamkeit der Kündigung bestand unter diesen Umständen nicht.
Wenn das Arbeitsverhältnis nicht befristet gewesen wäre, hätte der Schaden für den Arbeitgeber weitaus größer werden können. Man hätte dann anraten müssen, sofort die Zustimmung zur Kündigung durch die zuständige Behörde einzuholen (wenn Hoffnung bestanden hätte, die Zustimmung zu erhalten) oder aber die Kündigung zurücknehmen müssen.
Im Vergleichswege hätte man dann das Arbeitsverhältnis beenden sollen.
Ebenso hätten Stellenanzeigen übermittelt werden müssen, um die Verzugslohnansprüche zu reduzieren, die so aufgrund des massiven Zeitverlauf enorm geworden wären.
Man sieht, dass eine wirksame Befristung extrem sinnvoll sein kann.
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