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Urteile

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Das Recht auf Unerreichbarkeit

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022 – 1 Sa 30 öD/22

Müssen Arbeitnehmer*innen in ihrer Freizeit für die Arbeitgebenden erreichbar sein?

Mit dieser Frage hatte sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in dem vorliegenden Fall zu beschäftigen.

Der Sachverhalt

Der Kläger ist bei der Beklagten als Notfallsanitäter in Vollzeit beschäftigt. Aufgrund der Corona-Pandemie führte diese sogenannte „unkonkrete Springerdienste“ ein. Wurden die Mitarbeitenden der Beklagte zu einem solchen Dienst eingeteilt, mussten sie sich nicht zu Dienstbeginn am zugewiesenen Dienstort einfinden, sondern telefonisch um 07.30 Uhr von zu Hause aus ihre Einsatzfähigkeit mitteilen.

Am 06.04.2021 beendete der Kläger seinen Dienst und wäre regulär erst wieder am 08.04.2021 zu einem unkonkreten Springerdienst eingeteilt gewesen. Obwohl der Kläger am 07.04.2021 dienstfrei hatte, änderte die Beklagte an diesem Tag den Dienstplan für den Kläger und teilte ihn für den 08.04.2021 nunmehr in der Tagschicht ein – Dienstbeginn um 06:00 Uhr auf der Rettungswache. Versuche, den Kläger telefonisch zu erreichen, schlugen fehl. Die Beklagte übersandte dem Kläger daher eine SMS und teilte ihm die Dienstplanänderung mit. Am 08.04.2021 zeigte der Kläger um 07:30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur Arbeitsleistung an. Er wurde von der Beklagten, die zwischenzeitlich einen Mitarbeiter aus der Rufbereitschaft herangezogen hatte, nicht weiter eingesetzt. Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Ermahnung, bewertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen und zog dem Kläger elf Stunden von seinem Arbeitszeitkonto ab.

Auch am 14.09.2021 hatte der Kläger dienstfrei. An diesem Tag änderte die Beklagte den Dienstplan für den 15.09.2021, sodass der Kläger sich um 06:30 Uhr auf der Rettungswache hätte einfinden müssen. Die Dienstplanänderung teilte sie dem Kläger wiederum per SMS und diesmal auch per E-Mail mit. Weil der Kläger am 15.09.2021 aber erst um 07:30 Uhr seine Arbeitsbereitschaft anzeigte und erst um 08:26 Uhr auf der Rettungswache erschien, erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung und zog ihm 1,93 Stunden von seinem Arbeitszeitkonto ab.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn

Der Kläger erhob eine Klage vor dem Arbeitsgericht Elmshorn und beantragte eine Gutschrift der abgezogenen Stunden und die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Das Arbeitsgericht wies die Klage jedoch ab.

„Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, von der Dienstplanänderung keine Kenntnis gehabt zu haben. Er ist aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht verpflichtet, sich nach dem Beginn seines Dienstes zu erkundigen. Die Fehlzeiten des Klägers sind daher von seinem Arbeitszeitkonto in Abzug zu bringen. Die Abmahnung ist zurecht erfolgt.“

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein

Weil der Kläger gegen dieses Urteil Berufung einlegte, hatte schließlich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein zu entscheiden. Anders als das Arbeitsgericht gab das Landesarbeitsgericht dem Kläger recht.

Die Beklagte habe sich nämlich am 08.04.2021 im Annahmeverzug befunden. Der Kläger habe an jenem Tag um 07:30 Uhr seine Arbeitsleistung telefonisch angeboten. Mit diesem Angebot habe der Kläger die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zur rechten Zeit am rechten Ort erbracht. Da dem Kläger ein unkonkreter Springerdienst zugewiesen worden war, sei ein telefonisches Angebot erforderlich, aber auch ausreichend gewesen. Die Dienstplanänderung vom 07.04.2021 sei dem Kläger nicht zugegangen und ihm gegenüber deswegen auch nicht wirksam geworden:

„Die Beklagte konnte unter normalen Umständen nicht davon ausgehen, dass der Kläger diese SMS vor 07:30 Uhr am 08.04.2021 zur Kenntnis nahm. Vorher war eine Kenntnisnahme durch den Kläger nicht zu erwarten. Der Kläger ist nicht verpflichtet, während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine Arbeitszeit zu informieren und damit zugleich seine Freizeit zu unterbrechen.“

Und auch für den 15.09.2021 musste die Beklagte der Kläger die abgezogenen Stunden gutschreiben. Zwar habe sich die Beklagte nicht im Annahmeverzug befunden, weil die Fahrzeit zur Arbeit nicht Teil der geschuldeten Arbeitsleistung sei. Der Kläger habe aber einen Schadenersatzanspruch, weil er erst um 07:30 Uhr von der Dienstplanänderung erfahren habe und deshalb seine Arbeitsleistung nicht habe rechtzeitig anbieten können.

Entsprechend musste die Beklagte auch die Abmahnung aus der Personalakte des Klägers entfernen.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil ist aus unserer Sicht wenig überraschend. Nach wie vor gilt nämlich, dass Arbeitnehmer*innen in Ihrer Freizeit keine Arbeitsleistungen erbringen müssen. Arbeitnehmer*innen müssen also weder auf Weisungen der Arbeitgebenden reagieren, die während ihrer Freizeit ergehen, noch sich aktiv über das Geschehen im Betrieb informiert halten oder gar auf Kontaktversuche der Arbeitgebenden reagieren.

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