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Entgelt trotz Nichtarbeit: Unwiderrufliche Freistellung kann Erlassvertrag sein

LAG Köln, Urt. v. 3.2.2022 – 6 Sa 465/21

Ein Arbeitgeber kündigt, stellt die Mitarbeiterin „unwiderruflich unter Anrechnung von Urlaub und Überstunden“ frei – und erklärt später, die Kündigung sei gegenstandslos. Muss die Arbeitnehmerin daraufhin zurück zur Arbeit kommen, um ihren Lohnanspruch zu sichern? Das Landesarbeitsgericht Köln sagt: Nein – der Arbeitgeber bleibt zur Lohnzahlung verpflichtet.

Der Sachverhalt

Die Klägerin war als kaufmännische Angestellte bei der Beklagten beschäftigt. Im März 2021 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2021. Im Kündigungsschreiben hieß es:

„Wir stellen Sie ab sofort unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung gegen Fortzahlung Ihrer vertragsgemäßen Vergütung und unter Anrechnung von Resturlaubsansprüchen und Überstunden frei.“

Die Klägerin klagte gegen die Kündigung. Noch vor Ablauf der Kündigungsfrist erklärte die Arbeitgeberin schriftlich, sie betrachte die Kündigung als unwirksam und forderte die Klägerin auf, zur Arbeit zurückzukehren. Diese weigerte sich unter Hinweis auf die unwiderrufliche Freistellung.

Für Mai und Juni 2021 zahlte die Arbeitgeberin kein volles Gehalt mehr und auch keine Tankgutscheine. Die Klägerin klagte auf Zahlung des vollen Entgelts – und bekam nun in zweiter Instanz recht.

Das Urteil

Das Landesarbeitsgericht Köln entschied zugunsten der Arbeitnehmerin. Die Arbeitgeberin muss das vertragliche Gehalt samt Sachleistungen für Mai und Juni 2021 zahlen, obwohl keine Arbeitsleistung erbracht wurde.

Zentrale Begründungen:

  1. Unwiderrufliche Freistellung = Angebot zum Erlassvertrag
    Eine unwiderrufliche Freistellung mit gleichzeitiger Anrechnung von Urlaub und Überstunden ist nicht nur Annahmeverzug, sondern kann als Angebot zum Erlass der Arbeitspflicht bei gleichzeitiger Vergütungszusage gewertet werden (§ 397 BGB). Dieses Angebot wurde stillschweigend (§ 151 BGB) angenommen.
  2. Keine Arbeitspflicht – daher kein Entfall des Lohns
    Da die Arbeitspflicht erlassen wurde, greift § 326 Abs. 1 BGB („kein Lohn ohne Arbeit“) nicht. Die Arbeitnehmerin war nicht verpflichtet, die Arbeit anzubieten, und durfte der Arbeit fernbleiben – bei vollem Entgelt.
  3. Rücknahme der Kündigung oder gerichtliches Anerkenntnis ändern nichts
    Weder die nachträgliche „Rücknahme“ der Kündigung noch ein Teilanerkenntnisurteil (zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses) beenden die vereinbarte Freistellung. Diese bleibt bis zum ursprünglich genannten Kündigungstermin wirksam.
  4. Kein Annahmeverzug, kein böswilliges Unterlassen
    Da keine Arbeitspflicht bestand, kann die Arbeitnehmerin auch nicht in den Anwendungsbereich des § 615 BGB fallen. Es kommt nicht auf Leistungswilligkeit oder -angebot an. Ebenso sind keine Nebeneinkünfte anzurechnen.

Hinweise für die Praxis

Dieses Urteil hat erhebliche Auswirkungen für die Gestaltung von Freistellungen bei Kündigung:

  • Unwiderrufliche Freistellung ist bindend. Arbeitgeber, die Beschäftigte ohne Widerrufsvorbehalt freistellen, verlieren ihr Direktionsrecht für diesen Zeitraum – auch wenn die Kündigung später zurückgenommen wird.
  • Vergütungspflicht bleibt bestehen. Selbst wenn die Arbeitnehmerin auf eine Aufforderung zur Rückkehr nicht reagiert, schuldet der Arbeitgeber weiter das volle Gehalt – einschließlich geldwerter Leistungen (z. B. Tankgutscheine, VWL).
  • Abgrenzung: Freistellung ≠ Annahmeverzug. Die Rechtsprechung differenziert zunehmend zwischen einseitigem „Nachhause schicken“ (Annahmeverzug mit Anrechnungspflichten) und einvernehmlich vereinbarter Freistellung (mit Lohnanspruch ohne Einschränkungen).

Handlungsempfehlung für Arbeitgeber:

  • Eine unwiderrufliche Freistellung darf nur vereinbart werden, wenn eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinbart wurde, also z.B. in einem Aufhebungsvertrag oder Abwicklungsvertrag.
  • Ohne diese gleichzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses darf eine unwiderrufliche Freistellung nur für die Zeiträume erklärt werden, in denen Überstunden- und Urlaubsansprüche abgegolten werden sollen. Für die darüber hinausgehende Zeiträume ist nur widerruflich freizustellen.
  • Freistellungsklauseln sollten mit Bedacht formuliert werden.
  • Anrechnungsklauseln berücksichtigen. Ohne vertraglichen Vorbehalt kann kein anderweitiger Verdienst angerechnet werden. Wer das vermeiden will, muss dies klar im Freistellungsschreiben regeln.

Fazit: Eine als „unwiderruflich“ formulierte Freistellung ist für den Arbeitgeber rechtlich bindend – auch dann, wenn sich später herausstellt, dass die Kündigung unwirksam war. Ein einmal erklärter Verzicht auf die Arbeitsleistung lässt sich nicht einseitig zurücknehmen. Das Gehalt muss gezahlt werden.

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