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Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 17.05.2021 – 18 Sa 1124/20
Die Umgehung des Prozesskostenrisikos dürfte insbesondere auf Arbeitgeberseite das ausschlaggebende Argument für das Angebot eines Aufhebungsvertrages statt des Ausspruchs einer Kündigung sein. Doch wie kann der Arbeitnehmer zu der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages bewegt werden? Und darf mit einer Kündigung gedroht werden, sollte der Arbeitnehmer eine Unterschrift verweigern?
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Der Fall
Die als Teamkoordinatorin zu einem Bruttomonatsgehalt von rund € 5.000,00 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin, wurde am 22.11.2019 zu einem Personalgespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten in dessen Büro gebeten. Zugegen war auch der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der sich als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte. In dem Gespräch wurde der Klägerin vorgeworfen, in der Vergangenheit unberechtigt Einkaufspreise für Waren in der EDV der Beklagten abgeändert beziehungsweise reduziert zu haben. Dass dieser Vorwurf Gegenstand des Gesprächs sein sollte, war der Klägerin zuvor nicht mitgeteilt worden. Im Verlauf des Gesprächs wurde der Klägerin ein vorbereiteter Aufhebungsvertrag vorgelegt, den diese nach einer rund zehnminütigen Bedenkzeit unterzeichnete. Sollte sie eine Unterzeichnung des Vertrages verweigern, waren der Klägerin sowohl eine fristlose Kündigung als auch eine Strafanzeige angedroht worden.
Wenig später ließ die Klägerin von ihrem Rechtsanwalt erklären, dass sie den Aufhebungsvertrag anfechte. In dem anwaltlichen Schreiben hieß es, die Klägerin sei durch die widerrechtliche Drohung mit einer fristlosen Kündigung, einer Strafanzeige und sonstigen negativen Weiterungen zum Abschluss des Aufhebungsvertrages bestimmt worden. Als die Beklagte daraufhin eine außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche fristgerechte Kündigung erklärte, erhob die Klägerin eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Paderborn.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn
Das Arbeitsgericht Paderborn folgte den Ausführungen der Klägerin und gab der Klage statt. Die Klägerin hatte vorgetragen, sich allein aufgrund des massiv aufgebauten Drucks und ihrer Angst um die berufliche Existenz zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags habe bestimmen lassen. Die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend. Sie habe keine eigenmächtigen Eingriffe in die Einstandspreise vorgenommen. Sie habe bei dem Verkauf einer größeren Menge von Heizkörpern und bei dem Verkauf einer Abwasserpumpe, die sich bereits zehn Jahre im Lager der Beklagten befunden habe, die Einstandspreise in Abstimmung mit dem Einkauf abgesenkt. Ein Grund für die Kontrolle ihrer Arbeitsleistung habe nicht vorgelegen; die behaupteten Pflichtverletzungen habe die Beklagte konstruiert. Die Beklagte legte gegen das Urteil Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Hamm ein.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm
Das Landesarbeitsgericht Hamm bewertete die Sache ganz anders als die Vorinstanz, gab der Berufung statt und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 22.09.2019 sein Ende gefunden hatte.
Zu der erfolgten Anfechtung des Aufhebungsvertrages führte das Landesarbeitsgericht aus, dass sich die Klägerin auf keinen Anfechtungsgrund berufen könne. Insbesondere sei die Drohung mit einer fristlosen Kündigung rechtmäßig gewesen. Eine solche Drohung sei nämlich nur dann rechtswidrig und berechtige zu der Anfechtung eines aufgrund der Drohung unterzeichneten Aufhebungsvertrages, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen musste, dass die angedrohte Kündigung mit hoher Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält. Dies sei dann der Fall, wenn der Arbeitgeber nicht an seiner Berechtigung zur Kündigung glaubt oder sein Rechtsstandpunkt nicht vertretbar ist. Die eigenmächtige Abänderung der Einkaufspreise und die anschließende Veräußerung der Waren zu einem nicht abgestimmten Preis stellen aber eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung dar, dass die Beklagte von der Wirksamkeit der angedrohten Kündigung habe ausgehen dürfen:
„Die Beklagte hat mit der Annahme, das Fehlverhalten der Klägerin rechtfertige den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, einen vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen.“
Auch die Drohung mit der Strafanzeige war aus Sicht des Landesarbeitsgerichts in Ordnung. Immerhin bestünden Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klägerin wegen Untreue und Betruges strafbar gemacht habe. Da die Handlungen der Klägerin zudem im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis standen und somit zugleich eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellten, habe die Beklagte eine Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen.
Die Beklagte musste sich auch nicht vorhalten lassen, gegen das sogenannte „Gebot des fairen Verhandelns“ verstoßen zu haben. Das Landesarbeitsgericht stellte insoweit fest, dass die Beklagte ein berechtigtes Interesse daran hatte, „arbeitsrechtlichen Sachverstand in Person eines Rechtsanwalts“ zu dem Personalgespräch hinzuzuziehen:
„Gerade dann, wenn man dem Arbeitgeber die Rechtspflicht auferlegt, fair zu verhandeln, muss er auch Experten einschalten dürfen, die Inhalt und Grenzen dieser Rechtspflicht kennen. Zudem kann sich Laufe der Verhandlungen die Notwendigkeit ergeben, Inhalte des Aufhebungsvertrages neu zu formulieren. Insoweit ist ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Einschaltung eines Spezialisten zur rechtswirksamen Gestaltung der Aufhebungsvereinbarung anzuerkennen.“
Hinweise für die Praxis
Aus unserer Sicht ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vollkommen richtig. Eine Anfechtung des Aufhebungsvertrages kam weder aufgrund der Drohung mit der fristlosen Kündigung noch aufgrund der Drohung mit der Strafanzeige in Betracht. Beide Schritte durfte die Beklagte nämlich berechtigterweise in Erwägung ziehen.
Die Beklagte hat auch nicht gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstoßen. Von den insgesamt vier vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Fallgruppen – physische Schwäche, mangelnde Sprachkenntnisse, psychischer Druck und Überrumpelung – wäre allenfalls über die letzten beiden nachzudenken. Das Landesarbeitsgericht stellte aber zutreffend fest, dass das Personalgespräch mit der Klägerin während der regulären Arbeitszeit erfolgte, wodurch eine Überrumplung ausscheidet und der Klägerin zudem eine zehnminütige Bedenkzeit eingeräumt worden war, was wiederum gegen die Annahme eines unzumutbaren psychischen Drucks spricht.
In der Vergangenheit hatten wir bereits über einen Fall vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Aktenzeichen 23 Sa 1381/20) berichtet, dem eine ähnliche Konstellation zugrunde lag. Die seitens des Klägers erfolgte Anfechtung des Aufhebungsvertrages war anders als in dem vorliegenden Fall aber wirksam, da die Beklagte – allein aufgrund formeller Fehler – mit einer offensichtlich unwirksamen fristlosen Kündigung gedroht hatte. Es handelt sich somit um ein wichtiges Negativbeispiel, welche Fehler es zu vermeiden gilt.
In unserem „Ratgeber Arbeitsrecht“ erhalten Sie darüber hinaus weitere interessante Informationen rund um das Thema „Aufhebungsvertrag“.
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