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Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 01.06.2021 – 7 Sa 473/20
Kommt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer gegenüber in Zahlungsverzug, so kann dieser unter Umständen seine Arbeitsleistung zurückhalten. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer – bis die Zahlung erfolgt ist – nicht zu arbeiten braucht und dennoch seinen Anspruch auf Lohnzahlung erhält. Schätzt der Arbeitnehmer den Sachverhalt aber falsch ein, muss er mit einer wirksamen Kündigung rechnen.
Die Klägerin war bei der Beklagten, der Betreiberin eines Möbelhauses, beschäftigt. Im Anschluss an die Geburt ihres zweiten Sohnes im Jahre 2011 war sie zunächst durchgängig in Elternzeit für diesen und einen dritten Sohn. Hieran schlossen sich Pflegezeiten für den Erstgeborenen, welcher im Jahr 2002 mit einem Grad der Behinderung von 80 geboren worden war, sowie für ihre Mutter an. Die Pflegezeiten endeten am 16.06.2018, sodass die Klägerin nach rund sieben Jahren Abwesenheit am 17.07.2018 ihre Arbeit hätte wiederaufnehmen sollen.
Nachdem die Personalleiterin der Beklagten den Wunsch der Klägerin, möglichst vormittags von 09:00 Uhr bis 12:00 Uhr zu arbeiten, abgelehnt hatte, teilte die Klägerin am 26.06.2018 jedoch mit, dass es ihr momentan nicht möglich sei (nach Beendigung der Pflegezeit) ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Sobald es ihre persönliche Situation wieder zulasse, wolle sie aber auf das Angebot der Beklagten zurückkommen.
Die Klägerin nahm ihre Arbeit daraufhin weder am 17.07.2018 noch in der Folgezeit wieder auf. Stattdessen meldete sie sich zunächst bis zum 19.08.2018 arbeitsunfähig krank und legte ein entsprechendes ärztliches Attest vor. Nachdem sie am 04.09.2018 abgemahnt worden war, weil sie seit dem 20.08.2018 unentschuldigt gefehlt hatte, reichte die Klägerin ein weiteres Attest ein, ausweislich dem sie vom 20.08.2018 bis zum 02.09.2018 nicht arbeitsfähig gewesen war. Sodann folgte im direkten Anschluss eine weitere Erkrankung – wegen psychischer Belastungen beziehungsweise einer Durchfallerkrankung – bis zum 22.09.2018. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 26.09.2018 mitteilte, die Klägerin mache von ihrem Zurückbehaltungsrecht bezüglich ihrer Arbeitsleistung gebrauch, da im Juni und August 2018 keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gezahlt worden sei und darüber hinaus das Urlaubsgeld für das Jahr 2018 ausstehe, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin am 28.01.2019 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
Die Klägerin, die bereits auf Zahlung von Entgeltfortzahlung für Juli und August 2018 geklagt hatte (die Klage wurde später in der zweiten Instanz mit Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 01.10.2019 – 7 Sa 105/19 – abgewiesen), erhob gegen die Kündigung eine weitere Klage vor dem Arbeitsgericht Würzburg und klagte darüber hinaus auf Zahlung angeblich ausstehender Ansprüche auf Entgeltfortzahlung für September 2018, Lohn für die Zeit der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts vom 23.09.2018 bis zum 31.12.2018 sowie Urlaubsabgeltung und Weihnachtsgeld. Das Arbeitsgericht gab dem Kündigungsschutzantrag der Klägerin statt. Es war der Ansicht, der Kündigung hätte eine Abmahnung vorausgehen müssen (die Abmahnung vom 04.09.2018 war aufgrund eines Urteils in einem weiteren Parallelverfahren aus der Personalakte entfernt worden). Zudem gab das Arbeitsgericht den Zahlungsanträgen statt, soweit die Klägerin die Zahlung von Urlaubsentgelt und Weihnachtsgeld verlangte, wies die Klage im Übrigen jedoch ab. Gegen das Urteil legten beide Parteien Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg ein.
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Das Landesarbeitsgericht Nürnberg entschied, dass die hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30.06.2019 wirksam ist und änderte das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg entsprechend ab.
Zwar hätten Arbeitnehmer immer dann ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung, wenn der Arbeitgeber mit einem nicht unerheblichen Betrag (in der Regel 1½ bis 2 Monatsgehälter) in Zahlungsrückstand geraten sei. Aufgrund des rechtskräftigen Urteils vom 01.10.2019 – 7 Sa 105/19 – stehe jedoch fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Monate Juli und August 2018, sondern lediglich einen Anspruch auf Zahlung von Urlaubsgeld in Höhe von € 442,00 habe. Die Klägerin hätte daher am 23.09.2018 wieder arbeiten müssen:
„Zum Zeitpunkt der Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes war die Beklagte nur mit der Zahlung des Urlaubsgeldes 2018 in Höhe von 442,00 € brutto im Verzug. Dies war ein rückständiger Betrag von deutlich unter einem Bruttomonatsgehalt. Es handelt sich dabei um einen verhältnismäßig geringfügigen Betrag sowohl absolut als auch in Relation zum monatlichen Bruttoarbeitsentgelt der Klägerin. Die Klägerin war daher nach Treu und Glauben nicht berechtigt, ihre Arbeitsleistung zurückzuhalten.“
Im Ergebnis habe die Klägerin beharrlich verweigert, ihre vertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht zu erbringen:
„Dies war ein Verstoß gegen die ihr obliegende vertragliche Hauptleistungspflicht zur Arbeit nach § 611 BGB. Der Verstoß war auch beharrlich, da er über Monate hinweg fortgesetzt wurde bis zum Ausspruch der Kündigung.“
Dieser Pflichtverstoß rechtfertige auch ohne vorherige Abmahnung die Kündigung, da es der Klägerin hätte klar sein müssen, dass die Nichtaufnahme der Arbeit und die viermonatige Weigerung, die Hauptleistungspflicht aus dem bestehenden Arbeitsvertrag zu erbringen, eine ganz erhebliche Pflichtverletzung darstelle, welche die Beklagte nicht tolerieren werde.
Arbeitgeber können aus dem vorliegenden Urteil zwei Dinge mitnehmen:
Erstens ist es für den Arbeitnehmer äußerst gefährlich, „sein“ Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung auszuüben. Bewertet der Arbeitnehmer den Sachverhalt falsch und die Voraussetzungen für das vermeintliche Zurückbehaltungsrecht liegen gar nicht vor, fehlt er nämlich unentschuldigt und verweigert untern Umständen seine Arbeit sogar beharrlich. Zweitens rechtfertigt eine solche beharrliche Arbeitsverweigerung eine Kündigung. Bleibt ein Arbeitnehmer also über einen längeren Zeitraum unentschuldigt von der Arbeit fern, verliert er nicht nur seinen Anspruch auf Lohn, der Arbeitgeber hat darüber hinaus die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu beenden.
In dem vorliegenden Fall wäre die Kündigung übrigens auch dann wirksam gewesen, wenn die Klägerin tatsächlich einen Entgeltfortzahlungsanspruch für die Monate Juli und August 2018 gehabt hätte und die Beklagte sich somit mit mehr als zwei Monatsgehältern in Zahlungsverzug befunden hätte. Eine weitere Voraussetzung für das Zurückbehaltungsrecht ist nämlich, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber zunächst unter Gewährung einer angemessenen Zahlungsfrist auffordert, die rückständigen Vergütungsbestandteile auszugleichen. Dies hatte die Klägerin, obwohl sie anwaltlich beraten war, nicht vorgenommen. Ein klassischer Beratungsfehler des Arbeitnehmeranwalts.
Weitere Informationen zu der Vertragsverletzung bei der verhaltensbedingten Kündigung im Arbeitsrecht erhalten Sie in unserem „Ratgeber Arbeitsrecht“ unter https://www.ra-wittig.de/ratgeber/ratgeber-arbeitsrecht/kuendigung/verhaltensbedingte-kuendigung/vertragsverletzung
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